Wieso es zu einfach ist über Klimaaktivisten zu lachen, die nach Thailand fliegen.

Es war ein Aufmacher in Zeitungen, viele fanden es extrem lustig: Zwei Klimaaktivist:innen von der Letzten Generation haben einen Gerichtstermin (mit dem Gericht abgesprochen) verpasst, weil sie sich in Thailand befinden und sind auch noch mit dem Flugzeug da hin geflogen. Alles verlogene Doppelmoral? Wasser predigen und Wein saufen? Das ist vielleicht etwas zu einfach.

Individualkritik greift zu kurz

Fangen wir mit dem offensichtlichsten an: Es greift zu kurz, die Lösung der Klimakrise auf einzelne Personen abzuwälzen. Versucht doch einfach mal in einem CO² Rechner euren persönlichen Fußabdruck soweit zu senken, dass eine Erde ausreicht. Wird nicht gelingen. Klar, durch Kompensation natürlich, aber ein gewisses Grundrauschen gibt die Gesellschaft mit in der wir leben. Wenn es in Deutschland nicht auch prinzipielle Änderungen gibt, wird man dies nicht ändern können.

Aber es ist auch auf einer anderen – vielleicht grundlegenderen – Ebene problematisch, weil sie den Menschen zu sehr auf seine Politik verkürzt. Der Politikwissenschaftler Benjamin Barber stellt in seiner Kapitalismuskritik „Coca-Cola und Heiliger Krieg“ fest, dass es im Kapitalismus eben die Rolle des Konsumenten und die des Bürgers gäbe. Die Demokratie diene dazu, dass man als Bürger gemeinsam mit anderen arbeite, um die Entscheidungen des Konsumenten etwas abzufedern.

Barber verdeutlicht dies an dem Beispiel des Autokaufs, bei dem einem Verbraucher nur die Möglichkeit bleibt, entweder die Folgen des Autokaufs wie Umweltverschmutzung, Straßenbau, Rohstoffverbrauch, Gefährdung des öffentlichen Nahverkehrs und ähnliches in Kauf zu nehmen oder auf den Kauf zu verzichten. Als Bürger hingegen kann mit anderen versucht werden diese negativen Folgen beispielsweise durch öffentliche Förderung des ÖPNV, der Finanzierung von umweltfreundlichen Verkehrsalternativen, Verbot bestimmter Kraftstoffe abzumildern. Barber sieht in dieser demokratischen Teilhabe sogar eine Stärke und Verbesserung des Marktes, weil diese „die Freiheit der Konsumwahl in der Gewissheit gestattet, dass wir etwas gegen nachteilige Folgen unternehmen können“.

Konsument sein, ist kein Freifahrtschein

Das Beispiel ist über 20 Jahre alt und meine Darstellung natürlich sehr verkürzt. Auch soll das natürlich kein Freifahrtschein sein, aber ich finde den Gedanken der dahinter steckt, sehr wichtig. Es wird immer Situationen geben, in denen die Antwort auf ein Problem nicht den Prinzipien entspricht, die man gerne leben würde. Man kann dann entweder diese Sache aufgeben und „nur noch“ Bürger sein oder man erkennt eben an, dass es solche Konflikte gibt und versucht die Folgen zu minimieren.

In einem TAZ Artikel beschreiben die beiden Klimaaktivist:innen beispielsweise, wie sie das Problem angehen wollten: Mit Zug und Bus über die Seidenstraße war aber wegen Konflikten zu riskant, einen Wasserweg konnte man auch nicht finden, also wurde eine nonstop-Route mit kerosinsparenden Flugzeugen gesucht. Der Rückflug geht jetzt nur bis in die Türkei.

Dies bleibt aber eine Lösung auf individueller Ebene, die die wenigsten tun würden, wenn man ehrlich ist. Es gibt inzwischen eben leichtere Wege zu reisen, als erst lange zum Flieger, um dann möglichst viel CO² zu sparen. Die meisten wären hier viel stärker auf der Konsumentenseite – gerade diejenigen, die jetzt am lautesten aufschreien.

Die Stärke von Barbers Darstellung liegt also weniger in der Entschuldigung für „falsches“ Handeln, sondern in der Erkenntnis, dass Demokratie und gemeinsames Handeln der Gesellschaft dazu dienen kann, die Folgen von – vielleicht notwendigem – Handeln abzufangen.

Doppelmoral der „Letzten Generation“?

Die „Letzte Generation“ hat sich als Gruppe gegründet, um genau dieses Handeln der Gesellschaft einzufordern. Man kann jetzt darauf hinweisen, dass es der Gruppe im Forderungskatalog nur um ein Tempolimit von 100 km/h und ein 9-Euro-Ticket geht, aber natürlich wäre das ein Scheinargument, wenn gleichzeitig auch Aktionen an Flughäfen stattfinden. Fliegen ist damit in der Tat ein Kritikpunkt.

In einer Stellungnahme findet sich folgender Absatz, der aber deutlich macht, dass diese Klimabewegung auch durchaus in der Lage ist zu erkennen, dass man nicht erst alles perfekt machen muss, um sich für den Klimaschutz zu engagieren:

Ab dann beginnt man aber leider ein vielleicht zu aggressives Spiel des Vorwurfes der Doppelmoral, der inhaltlich in vielen Punkten richtige Themen anspricht – wie den mangelnden Windkraftausbau in Bayern – aber mit der Betonung der Doppelmoral in einer eigenen Verteidigung gegen Doppelmoral sehr seltsam aussieht. Aber gut, anderes Thema.

Besser wenig zu tun, als garnichts?

Klimaschutz ist sowohl eine Gemeinschaftsaufgabe, aber eine von jedem selbst. Der Staat kann und muss Rahmenbedingungen schaffen, damit dies leichter gelingen kann. Ein Beispiel wäre es ja Radfahrer:innen im Straßenverkehr besser zu berücksichtigen, um Menschen, die von A nach B wollen die Option zu bieten, auf das Fahrrad umzusteigen. Für SPD und CDU in Gelsenkirchen gelten aber noch immer nur Autofahrende und damit würde es einem Konsumenten vielleicht alleine schon schwerer fallen, seine Ansichten als Bürger umzusetzen.

Und da sieht man auch ein Problem, welches sich stellt, wenn man 100%ig nach den eigenen Vorstellungen leben will: Es ist manchmal auch aufgrund eigener Einflüsse nicht möglich. Hier waren andere Wege nach Thailand offenbar sehr schwierig, manche Produkte bekommt man eben eher in Plastik eingeschweißt und wenn kein Bus fährt, muss ein Auto herhalten.

Die Liste kann man beliebig fortsetzen. Manches davon wäre mit anderer Politik leicht zu lösen, manches braucht länger. Manche Probleme kann man zumindest durch freiwillige Kompensation selber klären, manches nicht.

Wichtig ist es, sich auf den Weg zu machen und seinen Teil zu leisten, um Klimaschutz zu leisten. Die Stellungnahme der „Letzten Generation“ macht in dem zitierten Punkt auch deutlich, dass man sich keine Welt wünscht, die die aktuellen Lebensrealitäten komplett ad-acta legt.

Bei vielen Kriter:innen scheint dagegen vielleicht auch etwas Enttäuschung mitzuschwingen, dass Klimaschüter:innen nicht zurück in die Steinzeit wollen, sondern gerne auch in dieser modernen Welt leben, diese aber so anpassen und verbessern wollen, dass auch zukünftige Generationen noch davon profitieren können.

Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn viele Leute einmal im Leben nach Thailand fliegen und hier vor Ort den Lebensstil pflegen, die die beiden Aktivist:innen hier – vermutlich(!) – an den Tag legen, als das, was deren Kritiker im Alltag zur CO² Bilanz beitragen.

Anmerkung: Ich versuche in der Regel meine Texte zu Gendern, indem ich den Doppelpunkt benutze. Klappt nicht immer, aber ist das Ziel. Hier habe ich Bürger und Konsument bewusst so stehen lassen, weil es für mich eher Begriffe aus Barbers Kapitalismuskritik sind und nicht für wirkliche Bürger:innen oder Konsument:innen stehen.