Warum es zu einfach ist, den GRÜNEN Schuld an Lützerath zu geben

Die letzten Tagen fühlten sich extrem merkwürdig an. Man berät in Gelsenkirchen am Klimakonzept, arbeitet es durch, um Fragen und Anträge zu erarbeiten und gleichzeitig wird in Lützerath mit der Räumung begonnen, um die Kohle unter dem Dorf abzubauen. Und natürlich stolpert man über die vielen kritischen Beiträge über die GRÜNEN. Und so sehr ich den Unmut verstehen kann, finde ich es nicht so einfach.

Klar, dass sagt sich als GRÜNER natürlich auch sehr einfach und wirkt nach einer beleidigten Leberwurst, aber darum geht es mir nicht. Protest gegen die Vereinbarung mit RWE ist natürlich möglich und sogar erwünscht. Es gehört zur Demokratie dazu und Aktivist:innen haben natürlich auch einen anderen Blickwinkel auf Politik, als es Parteien haben. Es sind einfach andere Rollen im politischen System. Dennis hatte dazu einen Artikel bei facebook verfasst, den ich gerne verlinken will. Aber darum alles kein Problem. Kritik muss man abkönnen. Aber es NUR bei den GRÜNEN abzuladen ist vielleicht etwas zu einfach.

Politik braucht Mehrheiten

Wenn man gefragt hat, wieso nur bei GRÜNEN und nicht auch bei SPD oder CDU demonstriert und blockiert wird, dann ist die Aussage oft gewesen, dass man da nichts anderes erwartet habe und man darum da nicht enttäuscht worden sei. Aber wie sollen GRÜNE denn als Juniorpartner im Bund oder Land „mal eben“ eine ausverhandelte Geschichte mit Milliardenfolgen ändern, wenn niemand glaubt die Partner würden das mitmachen?

Lützerath und der Kohleabbau war im März 2022 letztinstanzlich entschieden worden. Es gibt keine nächste Instanz. Der Rechtsstreit ist entschieden. Wir sind ein Rechtsstaat: Politik und insbesondere die Exekutive kann sich nicht über Gesetze hinweg setzen, also darum jetzt auch die Räumung.

Hätte man die gesetzliche Grundlage ändern können? Ein neues Gesetz, was den Abbau verhindert? Vielleicht. Wäre sicherlich auch vor Gerichten gelandet und hätte in jedem Fall jede Menge Geld gekostet, weil RWE sicher Schadensersatz gefordert hätte. Haben wir beim zweiten Atomausstieg ja auch erlebt.

Um Gesetze zu ändern, braucht man aber Mehrheiten, also man muss die Partner in der Koalition überzeugen, dass man womöglich eben diesen Schadensersatz leisten muss und ihn auch politisch überzeugen, dass es sinnvoll ist, lieber jetzt als morgen aus der Kohle auszusteigen. Und ohne jetzt zu behaupten, dass dies bei den GRÜNEN mehrheitsfähig gewesen wäre, weiß ich, dass es das bei SPD, CDU und FDP sicher nicht der Fall gewesen wäre.

Also hätte man es fordern sollen, böse aufstampfen und dann? Man hätte doch einen Konflikt aufgebaut, der nur mit einer Niederlage oder einem Koalitionsbruch hätte enden können. Die FDP ist nicht mal bereit anlässlich der Energie- und Klimakrise über ein Tempolimit einzugehen. Was wäre die Konsequenz derjenigen gewesen, die meinen man hätte das eben ändern können? Und wären dann keine Einigung mit RWE besser gewesen, als der Zustand jetzt? Unbeantwortete Fragen.

Die Sache mit den Studien

Dann kommt die Sache mit den Studien dazu. Die eine Studie sagt man braucht die Kohle – ist aber mit RWE Daten erstellt. Die andere sagt man braucht es nicht – arbeitet aber mit Satellitenbildern. Und dann eine Weltlage, die seit dem Angriff auf die Ukraine nun doch etwas anders ist:

Wir waren Anfang der Woche bei dem örtlichen Kohlekraftwerk in Scholven. Eigentlich hätte es schon ein Gaskraftwerk sein sollen. Das steht auch, ist etwas im Verzug, aber könnte ab spätestens Mitte des Jahres in Betrieb gehen. Wird es aber wohl nicht, weil Gas gerade einfach so viel unlukrativer ist, als Kohle zu verbrennen, gerade wenn es um Zweitnutzung von Dampf und Fernwärme geht. Jetzt steht es vorerst ungenutzt da.

Gefällt weder uns, noch dem Kraftwerkbetreiber (der die Kohlekraftwerke aber sonst wegen Systemrelevanz sowieso laufen lassen müsste). Ist aber so und macht deutlich, wie verrückt alles gerade geworden ist und auch, wie instabil Prognosen sein können.

Aber lassen wir die Sache mit der Unsicherheit heraus. Selbst dann hebt eine Studie kein letztinstanzliches Urteil auf. Oder zumindest nicht ein solches. Umwelt- oder Tierschutzgutachten könnten das vielleicht, aber was wir hier ja haben, sind Einschätzungen zur Kohlenutzung. Mit Studien zu argumentieren ist eine politische Diskussion, die aber auch erfordert, dass mehr als eine Partei darauf setzt.

Das Präventions-Paradoxon

Und gerade in Sachen Kohlenutznug und der Studien ging mir eins durch den Kopf: Die GRÜNEN sind im Bund seit einem, im Land seit etwas über einem halben Jahr an der Regierung. Da kann sich noch nicht viel am generellen Klimaschutz getan haben, aber einige wichtige Weichen zum Ausbau von erneuerbaren Energien sind gesetzt.

Die GRÜNEN werden sich weiter in den Regierungen für Klimaschutzmaßnahmen einsetzen. Wenn diese nun greifen und Kohle wirklich so unnötig wird, dass man die Kohle nicht gebraucht hat, würde man selber in wenigen Jahren die Aussagen bestätigen, die jetzt gegen einen genutzt werden.

Wenn man sich in 7 Jahren rechtfertigen wollte, wäre es sinnvoller, den Kohlepreis irgendwie hoch zu halten und an veralteten Technologien festzuhalten. Das kann weder die Klimabewegung wollen, noch die GRÜNEN.

In jedem Fall auch eine seltsame Situation, aber zum Glück ist mir zukünftig das Richtige tun lieber als Recht zu behalten und wenn RWE am Ende auf der Kohle sitzen bleiben würde , weil sie unwirtschaftlich wird, wäre mir das auch sehr recht!

Kommunikation um den Kohledeal

Die Vereinbarung mit RWE hat die Rettung von 5 Dörfern und 3 Höfen erreicht und einen Ausstieg bis 2030 im Westen. Dieses Abkommen – so sehr man es angesichts von anderen Studien kritisieren mag – muss jetzt auch als Muster für die Kohlereviere im Osten angewandt werden. Darauf muss sich gemeinsamer Druck richten. Wir brauchen den Kohleausstieg spätestens 2030.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es das Klügste war, diesen Deal so stark hervor zu heben und sich damit vielleicht zu sehr selbst zu loben. Er ist das was er ist: Ein Kompromiss. Er ist gut, weil RWE eigentlich nichts hätte abgeben müssen – die Urteile haben einen weitere Abbau erlaubt –, aber er ist jetzt auch nicht das GRÜNE Wunschkonzert. Dann würden wir gerade nicht nach Lützerath gucken.

Politik ist aber eben leider auch in der Kommunikation ein Kompromiss. Sich hinzustellen und einen eigenen Erfolg ganz klein zu reden, ist auch nicht zielführend. Innere Konflikte, die es in einer Koalition geben mag, zu stark nach außen zu tragen, wird für eine Zusammenarbeit nicht hilfreich sein. Das sind alles blöde Sachzwänge, aber eine rein GRÜNE Politik geht eben nur, wenn man alleine regiert.

Ich weiß auch nicht, ob es das Klügste ist, jetzt so zu tun, als habe man den Deal schon immer schrecklich gefunden, obwohl man dafür gestimmt hat. Auch das erzeugt Misstrauen und das Gefühl von „Flagge in den Wind halten“.

Was man aber sagen kann ist, dass diese Partei es sich damit nicht leicht gemacht hat. Ein Parteitag hat darüber sehr, sehr lange gestritten und am Ende sehr knapp entschieden. Das hilft Lützerath jetzt auch nur wenig, aber so zu tun, als wären die GRÜNEN nun eine Umfallerpartei, ist einfach zu kurz gegriffen.

Spaltung zwischen den GRÜNEN und der Klimabewegung?

Es wird jetzt immer wieder davon gesprochen, dass die GRÜNEN und die Klimabewegung sich an Lützerath spalten würden. Ich fände das enorm traurig, weil wir gerade jetzt die Zusammenarbeit und gemeinsamen Druck brauchen.

Die Politik – inklusive uns GRÜNEN – braucht Druck, der deutlich macht, was völlig losgelöst von politischen Mehrheiten und Koalitionskommunikationen nötig ist. Sie braucht dafür Kundgebungen vor Parteizentralen, Blockaden uns auch Straßensperren, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und für das Thema zu sensibilisieren.

Es braucht – wie bei der Europawahl 2019 – auch klare Signale bei Wahlen, dass eine andere Welt nötig ist und das bei Parteien, die dann auch zumindest etwas bewegen können. Eine Partei, die nicht in die Verlegenheit kommt, regieren zu müssen, kann viel versprechen, denn sie muss es nicht irgendwie durchsetzen. Sie muss keine Kompromisse machen und am Ende bewegt sie nichts.

Wir müssen – wie hier und vielen anderen Dingen in diesen Koalitionen – Kompromisse machen. Auch sehr blöde Kompromisse oder solche, die wehtun. Es gibt Dinge, die kann man nicht mal eben ändern. Aber man kann es immer wieder versuchen und kleine Schritte gehen, wenn andere nicht bereit sind die großen mitzugehen. Denn auch wenn die Herausforderung der Klimakatastrophe gewaltig sind, ist ein kleiner Schritt besser als gar keiner.