Unnötiger Rücktritt von Anne Spiegel

Anne Spiegel ist vorhin zurückgetreten. Als Familienministerin der Bundesregierung ist sie am Ende über einen 4-wöchtigen Urlaub kurz nach der Flutkatastrophe im letzten Jahr gestürzt, als sie in Rheinland-Pfalz Umweltministerin war. Ich halte ihren Rücktritt für unnötig, auch wenn ich ihn nachvollziehen kann. Ich hoffe nur, dass wir uns nun den wirklich wichtigen Themen zuwenden können und wünsche Anne Spiegel nach dieser schweren Entscheidung alles Gute.

Urlaub ist kein Rücktrittsgrund

Ich finde den Rücktritt unnötig, weil mir noch das tragende Element fehlt: Wirkliche Folgen ihrer Reise. Anne Spiegel hat 10 Tage nach der Flutkatastrophe einen vierwöchigen Urlaub angetreten, in dem sie sich weiter hat informieren lassen und den sie auch für einen Termin unterbrochen hat. Es ist nichts bekannt geworden, was in dem Zeitraum als Fehler oder Versäumnis des Ministeriums eingestuft werden müsste. Bleibt also nur eins: Der Urlaub selber sei unangebracht.

Sie hatte für diesen persönliche Gründe genannt und die nehme ich auch erstmal an. Ich finde eigentlich auch, dass sich Politiker:innen natürlich Urlaub nehmen können und sollen und dies auch niemanden etwas angeht. Der Zeitpunkt mag unglücklich gewählt sein, aber andererseits frage ich mich, wieso man keinen Urlaub machen sollte, wenn nichts akut dagegen spricht?

Das Umweltministerium war nicht federführendes Ministerium in der Katastrophe. Diese lag beim Innenministerium. Natürlich betrifft eine solche Krise immer alle Ministerien zu einem gewissen Teil, aber wie akut ist das Ministerium betroffen und inwiefern so stark, dass es die Ministerin braucht und nicht Stellvertreter:innen oder andere Mitarbeiter:innen ausreichend sind? Hierauf habe ich keine Antwort gefunden.

Wie lange müssen Minister:innen nach einer Katastrophe auf Urlaub verzichten? Nur Politiker:innen oder wer noch? Man kann natürlich streiten, ob es nach einer solchen Krise nicht auch zwei oder drei Wochen getan hätten. Aber ganz ehrlich – Egal wie man dazu steht (und ich will mir diese Aussage nicht anmaßen): Einen Rücktritt erfordert dies auch nicht, solange der Kontakt mit dem Ministerium bestand und dieses vielleicht auch signalisiert hat, dass alles läuft. Und auch das hat es ja offenbar.

Krisenkommunikation und unnötige Falschaussagen

Der weitere Grund, der mir im Bezug auf den Rücktritt begegnet, ist, dass es ja nicht um den Urlaub ginge, sondern um die Lügen. Anne Spiegel habe gesagt, dass sie an Kabinettssitzungen teilnimmt, obwohl sie dies nicht getan habe. Und auch Parteigremien habe sie nicht über den Urlaub informiert.

Letztes habe ich auch erst problematisch empfunden, bis mir einfiel, dass sie Spitzenkandidatin war. Vielleicht war sie einfach davon ausgegangen, dass der Partei dies schon bekannt sei? Immerhin war sie ja auch vier Wochen nicht als Spitzenkandidatin eingeplant. Und der Fraktion war dies ja auch bekannt.

Aber – und das sagt sich von einem heimischen Schreibtisch als Neunmalklug natürlich sehr leicht – es war vielleicht auch einfach ein Zeichen für problematisches Krisenmanagement. Ich habe ihr Statement von gestern nicht komplett gesehen, aber die Szene zum Abschluss, als es um das Abbinden ging, zeigte mir – vielleicht auch fälschlicherweise – eine unvorbereitete Situation und damit mangelnde Krisenkommunikation. Dass sie nach ihrer Erklärung den Abschluss nicht vorbereitet hatte und darum spontan improvisieren („Abbinden“) musste, war für ein öffentliches Statement ungünstig.

Und nochmal: Ich kann den Druck nicht mal annähernd nachvollziehen, dem sie sich ausgesetzt sah. Ich befürchte auch, dass der innerparteiliche Rückhalt eher begrenzt war und Anne Spiegel darum ziemlich alleine dar stand, darum ist das für mich nur Teil der Analyse und keine Kritik.

Und ich befürchte, dass ihre Aussage zu den Kabinettssitzungen auch entweder daraus entstanden ist, dass man zeigen wolle, trotz Urlaub diese Termine wahrgenommen zu haben oder ein Versehen, weil sie natürlich über einen Staatssekretär dort vertreten und mit Sicherheit auch über relevante Dinge informiert wurde. Aber natürlich macht es dies nicht hilfreich – eher im Gegenteil.

Vergleich mit Guttenberg und Wulff

Aufgrund dieses Rücktritts, der eben teilweise mit der Kommunikation begründet wird, habe ich mich gefragt, wie ich ihn mit denen von Guttenberg und Wulff vergleiche. Bei dem einen ging es um einen Plagiatsvorwurf, beim anderen um Privatkredite.

Bei beiden Rücktritten vertrat und vertrete ich die Position, dass auch hier Offenheit einen Rücktritt verhindert hätte. Ein Guttenberg, der früher beschreibt, dass er überfordert war und darum einen Ghostwriter für die Doktorarbeit genutzt habe, wäre da besser rausgekommen, als ruhig zu bleiben und dies abzustreiten. Bei Wulff war es vor allem die Salamitaktik, die die Medien angestachelt hat und dazu führte, dass der Druck zu groß wurde. Später wurde er – das soll einmal erwähnt werden – freigesprochen.

Auch hier war meine Beobachtung von außen, dass weniger Geheimnisse, Lügen und Aussitzen dazu geführt hätten, dass Rücktrittsforderungen keine größere Relevanz bekommen hätten, weil die Vergehen dann entweder in der Vergangenheit oder zu klein wären. Aber alles nur Mutmaßung.

Bei Anne Spiegel ist die Ursache ein Urlaub und Lügen dienten zum Runterspielen desselben. Warum sehe ich es dann anders und finde den Rücktritt noch immer falsch? Weil ich nicht finde, dass ein Fehlverhalten kaschiert werden sollte. Es ist im Prinzip kein Fehler in den Urlaub zu fahren. Wie gesagt: Zeitpunkt und Dauer mag nicht perfekt sein, aber das kann und will ich nicht beurteilen und solange keine Folgen daraus entstanden ist das für mich unproblematisch. Die Lüge wird dadurch schon etwas unwichtiger. Lügen wird nicht richtig, aber sich für etwas zu rechtfertigen, wofür man ungerechtfertigt angegangen wird, kann leider dazu führen.

Und das einzige was bei der Lüge bei guter Berichterstattung durch Staatssekretär:innen bleibt: Sie hat nicht den halben Tag in einer Videokonferenz gesessen, sondern sich über die wesentlichen Punkte informieren lassen. Aus „Ich war dabei“ wird ein „Ich bin vertreten worden“.

Unglaubwürdig macht es dies nur, wenn man vermuten würde, dass sie damit mehr verheimlichen wollte. Aber die Tat bleibt ja am Ende gleich: Sie war 10 Tage nach der Katastrophe in einen vierwöchigen Urlaub gegangen.

Der Scheuer-Vergleich

Es wurden heute viele Vergleiche zu Scheuer geführt. Der frühere Verkehrsminister hatte mit einer absehbar europarechtswidrigen PKW Maut einen Schaden von 670 Millionen Euro für die Bundesrepublik verursacht, blieb aber weiter im Amt und saß die Kritik hieran aus.

Ich halte den Vergleich im Prinzip für problematisch, denn Fehlverhalten kann kein Fehlverhalten rechtfertigen. Scheuer soll ja gerade nicht der neue Standard für Rücktrittsforderungen werden. Es ist richtig, dass Minister:innen auch früher bereits zurücktreten und man sich nicht aus Parteisicht auf das Scheuer-Argument zurückzieht, um eigenes Fehlverhalten zu rechtfertigen.

Aber was ich kritikwürdig finde ist das Verhalten der Union. Ich finde es vollkommen berechtigt, Unionsabgeordneten vorzuwerfen, dass sie das Fehlverhalten von Scheuer und die mit ihm verbundenen klaren – und absehbaren – Fehler mitgetragen haben, aber jetzt wegen am Ende 4 Wochen Urlaub zum falschen Zeitpunkt Rücktrittsforderungen stellten. Diese Doppelmoral kann man durchaus ansprechen, wobei damit natürlich deutlich wird, dass man das „Vergehen“ von Anne Spiegel weitaus geringer ansieht.

Ein Blick nach NRW

Der Rücktritt lässt mich etwas betröpelt zurück. Ich halte einen Urlaub für nicht so gravierend, dass es dafür einen Rücktritt benötigt. Und bevor mir jemand mit Parteibrille kommt: Meine erste Reaktion auf den Rücktritt von Ursula Heinen-Esser war ähnlich wie jetzt: „Rücktritt wegen Urlaub? Etwas überzogen, oder?“ Ich habe mich noch immer nicht mehr damit beschäftigt und werde die Fälle jetzt nicht vergleichen.

War wohl alles etwas näher an der Katastrophe und dann auch noch eine Party mit mehreren Mitgliedern der Landesregierung auf Mallorca. Könnte sein, dass ich das von der politischen Botschaft einer Ministerin in Sachen Klimaschutz für skandalös halte, aber habe mich wie gesagt nicht damit beschäftigt und damit wäre ein Vergleich unseriös und ich kann nicht sagen, ob ich ihren Rücktritt für gerechtfertigter oder genauso unsinnig halte.

Fazit

Viel zu schreiben gibt es nicht mehr. Als ich diesen Artikel am Vormittag überlegt hatte, war der Rücktritt noch nicht passiert, jetzt ist er Geschichte. Ich denke man kann auch hier sicher etwas in Sachen Krisenkommunikation mitnehmen, aber vor allem wirft es für mich Fragen in Sachen Fehlerkultur auf.

Wie oben schon gesagt, hätte ich bei Guttenberg und vielleicht Wulff auch keine Rücktrittsgründe gesehen, auch wenn es bei Guttenberg eben klares Fehlverhalten war und er sich damit einen Doktortitel ermogelt hatte. Dennoch halte ich für einen Fehler der so weit in der Vergangenheit liegt, etwas wie Verjährung angemessen, wenn sie durch Aufrichtigkeit bestätigt wird.

Bei Anne Spiegel gibt es natürlich keine Verjährung. Aber vielleicht auch nicht mal einen grundsätzlichen Fehler. (Die in der Kommunikation zu den Vorwürfen mal außen vor.) Selbst wenn man die große Belastung von ihr damals anführen will, ist diese durch den Wechsel offenbar ja auch aufgeräumt worden.

Kommen wir wieder in Zeiten, in denen Kleinigkeiten zu Rücktritt führen? Lässt sich die Ampel hier wieder von der Union vorführen? Hätte man sich schützender vor Anne Spiegel stellen müssen? Es sind eher Fragen, die mir nach diesem Tage bleiben.